Mittwoch, 28. November 2012

Gucke nich so bleede, s'gladschd glei...!

Quo vadis, Leipzig?
In den letzten Wochen mehrten sich gar seltsame Zeichen, die zwar nicht das wieder mal anstehende Weltenende prophezeiten, aber eine bestimmte Stadt in den für mich beängstigenden Fokus rückten. Die Rede ist von Leipzig.
Wenn man wie ich in Leipzig wohnt, bekommt man erwartungsgemäß ohnehin mehr von dieser Stadt mit, auch wenn man es manchmal nicht will – doch erstaunlicherweise ist Leipzig merklicher in den Fokus gerückt als je zuvor: nicht nur "nicht mein RTL" umfragt das städtische Laufvolk zu nichtigen Themen, auch das ZDF berichtete vergangenen Freitag in den Spätnachrichten ausgiebig über diese als boomend und in Mode gekommen bezeichnete Metropole. Und ein ortsansässiger Gastronomiebetreiber (Hauptlektüre "New York Times & Lufthansa-Magazin) hat sich darüberhinaus auch noch entblödet, einen selten dämlichen Zeitungsspruch markenrechtlich schützen zu lassen – Stichwort: "Leipzig the better Berlin" – um dem Ort einen neuen Image-Impuls zu geben. Mir stellt sich gerade bei letzterem fiebertraumigen Einfall nur ein unwiderstehlicher Würgereflex ein...doch bevor ich angewidert mein Essen wegschaffen muss, stellen sich mir, angestrengt das nach oben Strebende wieder runterschluckend, zwei Fragen:
  1. Braucht Leipzig diesen Vergleich mit der fastbankrotten Bundeshauptstadt?
  2. Was sind die möglichen Konsequenzen dieser unsäglich pfiffigen "Marketingidee" und des Medienhypes?
Bevor ich hier den Polemik-Knaller mit den Antworten auf die selbstgestellten Fragen hochgehen lasse, zuallererst mal ein flach gehaltenes "Hurra" auf denjenigen, der da dieses wohl peppig gemeinte Logo für die oben schon erwähnte Kampagne gestaltet hat:
von der Grundidee (eine flaggetragende Verballhornung des Leipziger Wappenlöwens) ja nicht schlecht, wenn da nicht das geradezu typisch leipziger bzw. sächsische Problem mit der Aussprache von Anglizismen wäre, wöllte man den verheißungsvollen Slogan wiedergeben!? So heißt es ebenda "Leipzig the better Berlin" (sic! Der pingelige Englischlehrer würde brüllen: Kommafehler...!!!). Oder wie es die sächsischen Muttersprachler betonen würden: "Leipzsch ßä beddor Bärlin". Eine andere bitterböse Assoziation war folgende (die ersten paar Worte sollten reichen): "Die Fahnen hoch, die Reihen dicht geschlossen..."
In diesem Sinne: Volltreffer – zwar noch nicht vollständig versenkt aber immerhin sich selbst schon waidwund geschossen...!
(Anmerkung: Hoffentlich hat der Herr wenigstens eine Werbeklitsche aus Leipzig mit der Visualisierung des Ganzen beauftragt – das wäre wenigstens ein Verdienst für die Kreativen der Stadt...)

Zur Illustration: Weitere, alternative Vorschläge für mögliche fortführende Kampagnen wären: 
Punktuell falsch.
Kreisende Geier.
Geographiekenntnisse erforderlich.
Schwanzvergleich.

Wozu braucht also Leipzig solch eine Kampagne und diesen unsäglichen Vergleich mit der chronisch am endgültigen Bankrott vorbeischrammenden Bundeshauptstadt Berlin?
Eine offizielle Begründung des Initiators, Auerbachs Keller Betreiber Bernhard Rothenberger: Leipzig soll international bekannter werden! Die andere lautet: Bürokratie hemmt Kreativität oder so...!
In meinen Augen ist das Blödsinn – Leipzig braucht keine Image-Kampagne um sein internationales Ansehen zu verbessern – und schon gar keinen Vergleich mit der so schillernden Bundeshauptstadt. Leipzig ist bekannt genug, das reicht aus und macht doch diese schöne Stadt so lebenswert! Deshalb mein Vorschlag an Herrn Rothenberger: Bauen Sie sich doch ihre eigene Stadt mit allem drum und dran und nennen Sie sie voll kreativ "Berlin". Und den Auerbachs Keller können Sie auch gleich mitnehmen, denn der ist mittlerweile so wichtig für die städtische Kulturszene wie das Xte Einkaufszentrum in der Innenstadt: zu DDR-Zeiten wurde der zur Messe ausstaffiert und war nur für das solvente West-Devisenpublikum betretbar, zwischendurch war es eine bessere Absteige um sich vom wabernden Industrienebel zu erholen und nach der Wende hatte man ebenso seine Probleme da rein zu kommen – Gesichtskontrolle lässt grüßen, Sie werden platziert! (Typisch sächsisch: Ich bin nicht nachtragend, aber ich vergesse auch nichts!)

Interessanter ist dann nur noch die Beantwortung der zweiten Frage: Welche Folgen hat die angestrebte Entwicklung Leipzigs nach Berliner Modell? Ganz stark vereinfachte Antwort: Von Berlin lernen, heißt verlieren lernen!
Als im Laufe der 90er Jahre fast schon abgewrackte Berliner Stadtteile wie Kreuzberg und Co. bei den (Sub-)Kulturtreibenden immer populärer wurden, weil diese dort eine günstige Nische zur Selbstverwirklichung fanden, blühten eben diese Stadtteile wieder auf – und das rief die hungrigen Trend-Heuschrecken irgendwann auf den Plan. Plötzlich wollten alle nach Berlin, weil es so hipp und so trendy und so up to date war und man dort voll die Kreativität und so hatte...würg! Konsequenz war, daß die Häuser saniert wurden – die Nachfrage bestimmt das Angebot! Es wurde geil in Kreuzberg zu wohnen und die Kreativität und das Neue zu atmen, auch wenn die eigentlich Kreativen und Neuerer schon längst an den steigenden Preisen erstickt und weggezogen waren...
Was bleibt: unzufriedene, gar protestierende Ureinwohner, von Originalität und Identität befreite Stadtteile, neureiche Immobilienhaie und voll die hippen Juppies auf der Suche nach dem verlorenen Geist vergangener Tage! Wenn das nicht als mahnendes Beispiel reicht, weiß ich auch nicht weiter...wehret den Anfängen!

(D.P.)

1 Kommentar:

  1. hui hui.
    hab deinen blag übers SL aufgeschnappt. schöner artikel.

    beste grüße,

    der fistige luchs

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