Montag, 6. Oktober 2014

Reise an die Amalfi-Küste – oder: Im Land der Beutelschneider. [3]

Bus is broken down.
That's Italy!
In Ermangelung jeglichen Willens und der nötigen Papiere, die zum Führen eines Kraftfahrzeugs befähigen würden und auch aus der Unlust heraus die steilen Berge treppauf und treppab zu laufen, empfand man den für italienische Verhältnisse ungewohnt kostenlosen (!) Shuttle-Bus-Service des Hotels als wahre Wohltat. In regelmäßigen Abständen mit zu verkraftenden Verspätungen fuhr ein mittelgroßer weißlackierter Bus ächzend vom Hotel hinunter nach Amalfi und zurück. Zwischenstopps wurden noch am Strand eingelegt, der danach noch mittels zweier Fahrstuhlfahrten (!) erreicht werden konnte...aber das ist eine andere Anekdote.
Schnaufend, röhrend und quietschend zuckelte eben jener Bus zuverlässig tagtäglich auf und ab, immer vorbei am Abgrund und Felsvorsprüngen. Der am Rückspiegel baumelnde Rosenkranz schwang dabei stets dankbar sanft hin und her für jedes waghalsige Manöver, das der mimisch versteinerte Lenker erfolgreich absolvierte. Wie in Abrahams Schoß fühlte man sich dennoch sicher und freut sich über das einlullende Möööp Möp der Hupe vor jeder schärfsten Kurve.
Doch dann kam der Abend, da stand man da unten in Amalfi beim von Tauben und Möwen verkoteten Denkmal des hierzulande wenig berühmten Kompass-Verbesserers Flavio Gioia und das geplagte Vehikel kam einfach nicht. Selbst die den Verkehrsverhältnissen zugestandene zusätzliche Toleranz von 15 Minuten verstrich, ohne daß sich das ersehnte Vehikel nähern wollte. "Bus is broken down!" unkte nach weiterer Wartezeit der touristische Buschfunk. Schöne Scheiße. Und nun? Zwar fährt auch ein öffentlicher Bus da hoch, aber der ist chronisch überfüllt, hält willkürlich an jeder Ecke und ist noch langsamer. Aber nach geraumer Zeit und etwa drei Zigaretten später traf dann der Ersatzbus ein. Oder besser formuliert: ein Kleintransporter mit nur 8 statt 28 Sitzplätzen. Zwar konnte die Beförderungskapazität durch paariges Schoßsitzen und Quetschen auf 11 erhöht werden, doch reichte das an jenem Abend nicht aus. Und so kam es wie es nicht kommen sollte: Mit mürrischem Blick erkannte der Busfahrer das Personentransportkapazitätsproblem und verwies auf die kleine Ladefläche, die sonst nur für Gepäckstücke gedacht war, um wenigstens noch eine Person hinten rein- und somit hochzukriegen. Der Autor dieser Zeilen nahm also in Ermangelung von Alternativen und in Unlust auf weitere Warterei Platz. Vielen Dank dafür, aber hier hinten drin hätten sie vorher wenigstens mal auswischen können... Nichtsdestotrotz habe ich dieses spontane Abenteuer gut überstanden und nach nur zwei Tagen fuhr der richtige Bus endlich wieder – wenn auch mit schwerwiegenden, holpernden Stoßdämpferproblemen an der Hinterachse...aber das muss wohl so sein hier in Italien.

"Tek se firste elewete tu lewel uan end sän tek se sekend elewete daun tu se bietsch!"
Fahrstuhl zum Strand.
Anekdotisch sei hier erwähnt, daß das Bad im Mittelmeer an dieser steilen Stelle Italiens den Badenden vor auf den ersten Blick erstaunliche Fragen stellte. Das Hotel bot schon laut Reisebeschreibung von sich aus einen eigenen Strand für all die Gäste an, denen das restriktiv diktierte Planschen mit Badekappe im chlorig-blauen Pool zu ordinär erschien und die es vorziehen, lieber in bewegter Salzlake zu kraulen. Aber wo sollte dieser Strand eigentlich sein? Viele steile Küstenvorsprünge gab es, aber Strand? Hier? Zur persönlichen Überraschung gab es den verheißungsvollen maritimen Abschnitt aber tatsächlich: in den Hotel-Schüttel-Bus eingestiegen, dann nach zwei Dritteln der Strecke bis nach Amalfi plötzlich ein abrupter Halt in belebter Straße und eine Tür öffnet sich plötzlich vor der offenen Bustüre. Ziel erreicht!? Naja, zumindest fast...
Eine junge, bebrillte Dame – ihres Zeichen die Kalfaktorin des gastronomischen Seebadeabteils – bittet zügig herein, rattert ihren gebrochen englischen Text herunter (ich verstand anfangs nur Fahrstuhl), verlangt den teuren Passierschein und zeigte prophetisch in einen Gang. Das ging schnell und wird sicherlich (mal wieder) abenteuerlich. Und tatsächlich, am Ende des Ganges befindet sich ein Fahrstuhl. Drücken, Warten, die Türen öffnen sich. Es geht abwärts. Die Türen öffnen sich: Höhle mit Beton. Licht und Meeresrauschen fluten die Kaverne. Dann weiter gehen. Am Ende des Ganges, ein paar Stolperfallen weiter befindet sich ein weiterer Fahrstuhl. Wieder Drücken, wieder Warten, die Türen öffnen sich. Es geht nochmals abwärts. Fährt der Fahrstuhl einfach nur langsam, oder nähern wir uns schon dem Meeresgrund...? Die Türen öffnen sich: wieder Höhle mit Beton. Licht und Meeresrauschen fluten die Kaverne, doch am Ende des subtil nach Exkrementen riechenden Tunnels endlich das buchstäbliche Licht. Man ist am Ziel! Kiesstrand, Sonne, Meer. Und ein junger, Geschäftigkeit heuchelnder Gigolo, der ein T-Shirt trägt, auf dem protzig Lifeguard prangt. Hier nur nicht in Not geraten...!!! Für 10,-€ pro Strandtag und 86m Fahrstuhlfahrt muss man dann auch seine Liege selber vom Haufen nehmen und aufbauen sowie mit einem Vorschlaghammer auch den Schirmständer selbst in den kieseligen Grund treiben. Dann kommt der sogenannte "Lifeguard", schaut sich die Brüste der weiblichen Badenden an und klappt die mühsam entfalteten und fixierten Schirme wieder zusammen – wegen zuviel Wind und den potentiellen Gefahren für Leib und Leben! Nicht auszudenken, was passieren könnte, wenn so ein Schirm bei einer Böe im Flug jemanden ernsthaft verletzt?! Bedenken dieser Art werden aber nicht geteilt bezogen auf die alte, spitze, rostige Stange, die in der Uferböschung von Brandung umspült weiterer Opfer harrt. Auch das ist Italien... 
Aber: das Wasser war noch warm, schön klar und salzig; die Sonne schien, Entspannung pur. Und wen es interessiert: auch hier gab es wieder ein buntes Potpourri an Verboten: Hunde, Katzen, Masttierhaltung waren untersagt, mitgebrachtes Essen und Trinken auch, Rennen, Springen, Spielen auch untersagt. Die Liste war länger und wollte einfach nicht beachtet werden. Es hätte übrigens auch eine Treppe gegeben. Aber knapp 90m Höhenunterschied zwischen Uferstraße und Strand legen sich mit dem Fahrstuhl einfach komfortabler zurück.

Amalfi #8: Schlechtwetterfront.
Studien am lebendigen Objekt.
In ein Urlaubsland wie Italien kommen viele Menschen aus aller Herren Länder. Und in einem Hotel kanalisiert sich dieses Zusammenkommen auf eine Essenz, die zum Geschichtenausdenken einlädt. Einige der Gäste bleiben da besonders im Gedächtnis hängen: da war der ins unförmige gealterte Grauhaarige mit einer blutjungen Asiatin mit Vorliebe fürs Oben-ohne-Sonnenbad; das grotesk verkleidet wirkende englische Ehepaar jenseits der 75, das wie aus einem Little-Brittain-Sketch entsprungen zu sein schienen; der gealterte englische Skinhead in Flipflops und seine kleine vergreiste Frau; die laut labernden US-Amerikaner, für die alles entweder amazing oder awesome war (aber immer auch irgendwie very beautiful); das homosexuelle Männerpärchen mit eindeutiger Rollenverteilung; die Nachts auf dem Balkon mit den Hunden um die Wette krächzende Spanierinnen; die halbseitig gelähmte, harngelb blondierte Alte mit ihrer moppeligen Tochter/Pflegerin; die zwei kontrastreich geschminkten und zeitgleich ebenso unintelligent dreinschauenden Britinnen; alte schottische Männer und Frauen, die schon unter Nelson das Mittelmeer besuchten etc.
Eine bunte und illustre Mischung eben, wenn auch schon den Altersdurchschnitt deutlich nach oben treibend...

Drive me crazy! Drive me insane!









Gedankenexperiment.
Sieht man sich den Straßenverkehr an der Amalfiküste an, fragt man sich, wie die Eingeborenen tagtäglich diese für das mitteleuropäisch-urbane Auge extrem engen und kurvenreichen Straßenverhältnisse weitestgehend unfallfrei bewältigen können. Zwar kommt es immer mal zu kritischen Situationen, untermalt mit lautem aber kurzen Geschrei, wildem Gestikulieren der Fahrer und haarscharfem Manövrieren an den schmalsten Stellen bei gleichzeitigem Telefonieren am Steuer mit der Verwandtschaft, aber nie scheint ernsthaft was zu passieren...?!
Was wäre, wenn man für eine Woche mal tauschen würde? Deutsche Kraftfahrzeuglenker samt ihrer dicken SUVs und Limousinen tauschen mal mit den Einheimischen die Straßen. In meiner Fantasie sehe ich da vor meinem inneren Auge in und um Amalfi dicke Rauchschwaden aus verbeulten Wracks wabern, sich prügelnde und wüst beschimpfende Unfallopfer, verbeulte Autos liegen in den Hängen und Terrassen der Küste, verstörte Menschen tappern desorientiert und verängstigt umher, die Polizei ist überfordert, das Militär muss eingreifen, Katastrophenalarm, Ausnahmezustand. Kurzum: die egozentrierte, germanisch-automobile Apokalypse...
Anders dann hier: kleine überladene, stinkende, verbeulte Autos, Mopeds und Roller tuckern gemächlich aber sich chaotisch selbstorganisierend mit telefonierenden Insassen über die Straßen, Fußgänger mittendrin, es wird mehr gehupt, aber weniger verletzt und gestorben...

Amalfi #9: Positanoooo...! Positanoooo...!

Exkurs: Capri.
"Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt..."
Capri ist wie Amalfi, nur mit mehr Wasser drum herum, noch teurer und mit noch mehr fotografierenden Asiatenhorden als auf dem Festland. Außerdem hat es kräftig geregnet am Ende dieses Ausflugstags. Aber: Dieser Ausflug zeigte, daß Norweger im Urlaub schon früh am Tage anfangen Bier zu trinken und Deutschland irgendwie gut finden (...!?), es kulante italienische Seefahrer gibt, ich selbst scheinbar bei stärkerem Wellengang nicht seekrank werde und Capri weit unidyllischer ist, als es alte Schlager uns weis machen wollen. 

Klingelingeling.
Wie schon an anderer Stelle erwähnt, vertrete ich spaßeshalber die These, daß die Autohupe in ihrer rezenten Form von einem Italiener erfunden worden sein könnte. Andere akustische Signaleinrichtungen sind bei den Stiefelbewohnern auch beliebt, zum Beispiel Handyklingeltöne. Nicht nur, daß scheinbar alle Italiener – von jung bis alt – ein Smartphone zu besitzen scheinen, nein, sie haben auch noch alle den gleichen Klingelton: das ständige Telefonieren (auch im Wasser!) zwischen dem Internetsurfen wird immer eingeleitet durch ein lautes altmodisches Klingelingeling. Ob am Strand, am Hafen, im Bus, an der Bushaltestelle, im Restaurant, Hotel oder Flughafen: Klingelingeling...klingelingeling...klingelingeling...ich kann das jetzt noch hören im inneren Ohr. 

Amalfi #10: Amazing and awesome steps on stairs!
Do you speak Kauderwelsch?
Wohlan, lasset uns hinabsteigen, und dort verwirren ihre Sprache, daß sie nicht verstehen Einer die Sprache des Andern. (Gen 11,7)
Blödsinn. Wozu hat man denn Hände, Füße und schulisch erworbene Englisch- und Französisch-Kenntnisse? Und mit etwas Geschick lernt man auch ein paar Bröckchen Italienisch. Bitteschön! Mille Grazie! Sie mich auch!
Richtig spannend wurde es immer dann, wenn man im öffentlichen Bus oder Hotelspeiseraum den Klängen lauschte. Ich mag das, weil es manchmal mehr Situationskomik offenbart, als die durchdachteste Realsatire.

(…)...Boungiorno!...mille Grazie...that was awesome...wangschang Hu!...so many steps and stairs...that was amazing...si, si...Nexte Stoppe Positano?!...please sit down...wow awesome...i'm living together with my girlfriend with a chicken next to the living room by the bathroom...Rechnung bitte!...great opportunity...wowwww...Naples is awesome...(…)

Speziell das nervig kindliche Dauererstaunen einer US-amerikanischen Touristinnengruppe im SITA-Bus von Sorrent zurück nach Amalfi (über 2 Stunden Fahrtzeit für etwa ±50km!) bleiben mir für immer im Gedächtnis: zugestiegen im steilen Positano, wurden pausenlos die awesome und amazing Treppen diskutiert. Harte Fakten kamen weniger zur Sprache. Nur die unglaubliche Menge an Treppen...awesome! Und natürlich auch totally amazing!

Fazit.
Es war schön! Man könnte zwar als Leser dieser Beiträge ein gegenteiliges Bild gewinnen, aber unterm Strich bleibt festzustellen, daß Italien eine Reise wert ist, auch wenn die Wegelagerei zum etablierten Straßenbild gehört, man lieber Krösus angesichts der Preisgestaltung sein sollte und man nie weiß, welches spontane Abenteuer hinter der nächsten Kurve lauert.
So fühlt sich der Verfasser tatsächlich erholt im Sinne einer kreativen Herauslösung aus dem Alltag und sagt Danke für eine Woche Softcore-Adventure mit Badekappenpflicht im Hotelpool, Frühstück, heimlichem Brötchenschmieren und vielsprachigem Alleinunterhaltungs-Antonio am Buffet. Danke dafür ihr Schlitzohren und Beutelschneider! Ciao!

ENDE.

P.S.: Das Mysterium der verlorenen Kamera löste sich bei der Rückkehr in Leipzig am Flughafen auf. Eine nette Servicefachkraft am Info-Schalter – eine gealterte Zierde ihrer Zunft – überreichte mir auf Nachfrage nach dem verlustig gegangenen Gerät eben jenes gegen bürokratisch-korrekter Abgabe einer Unterschrift. Mir war das gute, alte Stück einfach aus der Jackeninnentasche gerutscht...wegen obskurer, schön umsäumter und in ihrer Sinnhaftigkeit unerklärlicher Löcher am Taschengrund, die so groß sind, daß bequem eine Kamera hindurch rutschen kann. Und seitdem neige ich verstärkt zu ständig kontrollierenden Griffen: alles noch da, wo es sein soll! Gut... 

(D.P.)

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