Sonntag, 23. November 2014

Überdruckventilation. [2]

Leipzig = Hypezig.

Willkommen...?!
Kommen Sie nach Leipzig! Wir freuen uns, Sie begrüßen zu dürfen in einer der medial gehyptesten Städte Deutschlands – Hypezig! Hier soll der Löwe steppen, seit der Berliner Bär gänzlich unsexy von Geldnot und Gentrifizierung dahingerafft wurde. Das ZDF machte eine Reportage über die vielen Chancen hier, meschugge Mädchen bloggen kräftig ohne Sinn und Verstand über "hippe Locations und Events", es wird neugebaut und saniert und restauriert und planiert und und und... Wow!
Randerscheinung: Kreatives Gesindel und andere Hungerleider mit bunten Ideen, vielfältige Potentiale, alternative Lebensstile schufen den schicken Boden für Ihre weiterreichenden Interessen und den unverständlichen Hype. Aber egal. Das Nest ist bereitet – jetzt investieren! Werden Sie, liebe Besitzstandswahrer, Teil von etwas Großem. Wo heut noch wild Subkultur und Szene pulsiert und marode Straßenzüge und gar finstre Ecken lebendig macht, herrscht dank dreister Entmietung, Immobilienschachereien und Mietpreisspiegelerhöhung bald investitionsfreundlicher Burgfrieden. All das noch renitente Gesocks, von Ihnen schlecht bezahlte Präkariat und frei verfügbare Menschenmaterial, das diese eigentlich lebenswerte Stadt noch bereichert und pulsieren lässt, findet sich dank Ihrer Gier bald im ausgegrenzten Nimmerland wieder und freut sich mit Ihnen über eine bunte Zukunft. Der Platz auf dem dünnen Tellerrand will verdient sein. An Orten, wo heut noch hinterhöfisch freudetrunken von einem Tag zum anderen gelebt wird, regieren bald Ihre langfristigen Vermögensplanungen und thronen sinnentleerte und seelenlose Betongold-Stadtvillen. Danke dafür! 
Deshalb folgender Aufruf an alle, die dement an der nächsten Immobilienblase mit blähen: Pumpen Sie noch heute Ihr Vermögen in diese blühende Stadt und beenden Sie das sozialromatische Träumchen von einer bunten Metropole, in der Mietraum bezahlbar bleibt. Liquidieren Sie doch endlich die Idee von einer Stadt für alle. Sorgen Sie bitte für mehr Luxussanierungen! Leisten auch Sie sich eine Stadtvilla z.B. in der stylischen Südvorstadt! Beteiligen auch Sie sich an der Vereinheitlichung des Stadtbildes hin zu finanz- und investitionsfreundlichen Brache!


Ihr Kinderlein zahlet – oder: 
Präadventliche Polemik zum Geburtstag des Religionsbrandstifters.

"...und geben Sie reichlich! Gott vergelt's!"
4,2%* – Welch enormer Anteil von Katholiken gar biblischen Ausmaßes in Leipzig!? Wahnsinn! Verwechseln sie ruhig Katholizismus mit Dyskalkulie – in der Summe kommt das selbe raus! Und da somit diese unsere Stadt als katholische Hochburg inmitten des lutherböckischen Feindesland gelten darf, findet im Jahr 2016 der Katholische Kirchentag hier statt! Halleluja! Ketzerische und des Rechnens mit heidnischer Algebra fähige Kleingeister könnten jetzt zwar unken, daß ein solcher Anteil katholischer Messestädter an der Gesamtpopulation nicht mal einen Ausflug der katholischen Landjugend nach Leipzig rechtfertigen würde, aber die Wege des göttlichen und weltlichen Bodenpersonals sind unergründlich...und darüber hinaus auch teuer für die Schar der Un- und Fehlgläubigen.
Doch am Anfang allen Übels steht auch der Neubau. Mitten in Leipzig, in Spuckweite des Neuen Rathauses herrschte bis letztens noch gottlose Einöde. Doch mittels himmlischer Fügung und städtischer Klüngeleien begab es sich, daß dieses grüne, bisher brache Fleckchen Land Errettung in Form eines lange geplanten Kirchenneubaus erfuhr. Diese neue Filiale heißt St.Trinitatis – heilige Dreifaltigkeit. Und siehe, der katholische Bauherr sah die Bauarbeiten flugs voranschreiten und siehe, es war gut, teuer und vor Allem prunkvoll! Aber Dank Fundraisings und reichlich gebendem Spendenviehs umsetzbar...es geschehen noch Zeichen und Wunder.
Die Gottlosen mussten sich nun mit ganz irdischen Fragen plagen: Warum? Wozu? Für wen dieser ergötzliche Tempel? Da von Gott ja immer behauptet wird, daß er alles wüsste, wird er schon die Antwort kennen. Aber den gequält Fragenden sei trotzdem geholfen: ein klobiger katholischer Kirchenneubau direkt gegenüber der weltlichen Schalt- und Verwaltzentrale der Stadt Leipzig soll nur die gewählten Volksvertreter mahnen, auch zukünftig für das jenseitige Seelenheil des blökenden Wahlviehs zu sorgen – ob die es wollen oder nicht. Zwar zahlt der konfessionell Gebundene seine Kirchensteuer, aber auch der Atheist trägt sein Scherflein bei. Denn wirre religiöse Belange müssen eben – gerade in einer hochverschuldeten Stadt – besonderen Rang haben. Schon im Mittelalter war das diesseitige Dasein ein einziges Jammertal und Himmel bzw. Hölle versprachen Erlösung oder ewig währende Qualen. Warum also etwas ändern? Den empörten Heiden fehlt doch nur die Einsicht und der Glaube in die Notwendigkeit öffentliche Gelder für Hirngespinste und Wahngebilde zu verplempern... Amen!
Doch zurück zur Leipziger Erbsünde: Neben dem strahlendem Neubau existiert neuerdings in Vorbereitung des 2016 anstehenden himmlischen Events nun auch eine passende Geschäftsstelle in herrlichster teurer Innestadtlage: Mit Christus werden also nicht nur Brücken gebaut, sondern auch der unheilige Geist der Immobilienschacherei und Subventionsschleicherei beschworen! Halleluja! 
Und so freuen sich 4,2% Leipzig also innig ergriffen auf das nächste Großevent: Almosen in Höhe von einer Million Silberlingen aus dem Säckel einer angeblich so säkularen, wie gleichzeitig verschuldeten Stadt...
Und wieder dünkt es den frechen Atheisten zu hinterfragen: Hätte man das Geld nicht sinnvoller ausgeben können? Ist das das Upgrade zu Sodom und Gomorrha 2.0? Könnte man damit nicht ganz irdische Belange unterstützen, die ganz reale Ergebnisse zeitigen? Kann die "arme" Katholische Kirche das nicht selber auslegen? Oder um es verständlich für die im marxschen Sinne Volksopiumabhängigen auszudrücken: Du sollst doch nicht stehlen?!
Und so schließe ich diesen häretischen Beitrag mit dem weisen Fazit: Ihr Kinderlein kommet und zahlet heim im Geiste der echten Nächstenliebe denen gegenüber, die euer Götzenfest da bezahlten! Amen!

*Quelle: Dekanats-Jugend Leipzig, andernorts liest man auch die exorbitantere Zahl von 4,5%.

(D.P.)

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